Cover
Titel
Meine Geschichte.


Autor(en)
Knopp, Guido
Erschienen
Anzahl Seiten
319 S., 16 S. Farbbildteil
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wulf Kansteiner, Department of History, Aarhus University

Guido Knopps Autobiographie enthält Überraschungen. Wer hätte gedacht, dass Knopp zweimal Willy Brandt gewählt hat, ein Bewunderer Rudi Dutschkes ist und Letzteren sogar in seinem dänischen Exil in Aarhus besucht hat? Und doch propagiert das Buch ein Geschichtsverständnis, das den Kernthesen von Knopps Sendungen zum Thema Nationalsozialismus entspricht und ähnlich problematisch ist.1

In „Meine Geschichte“ dient die Abfolge der Fernsehsendungen als eingängiges Strukturprinzip. Das Buch, vorgelegt vier Jahre nach Knopps Eintritt in den Ruhestand, bietet keine neue Perspektive auf sein Œuvre, sondern eine geradlinige Erfolgsgeschichte in griffigen, zum Teil repetitiven Sätzen. Der Autor vertraut auf seine öffentlichkeitswirksamen Formulierungen vergangener Jahrzehnte, die nicht alle den Lauf der Zeit unbeschadet überstanden haben. So preist Knopp sein Geschichtsfernsehen wie schon vor über 25 Jahren als Zeitgeschichte „für Golo Mann und Lieschen Müller“ (S. 5, S. 42, S. 47, S. 79), ohne zu erörtern, inwieweit der Anspruch, alle Zuschauerschichten bedienen zu wollen, tatsächlich eingelöst werden konnte – ganz zu schweigen von dem Umstand, dass sich heute vielleicht ein weniger sexistisches Motto finden ließe.2 Der Fernsehhistoriker Knopp geht in seinen Memoiren recht ahistorisch zu Werk.

Trotz oder vielmehr wegen des fehlenden reflexiven Moments ist das Buch ein interessantes Zeitzeugnis. Geradezu idealtypisch bildet es zentrale Leerstellen und Widersprüche ab, die die deutsche Erinnerungskultur von der Ära Kohl bis heute geprägt haben. So verliert der 1948 geborene Knopp, der zu Recht Zeit seiner Karriere die Bedeutung eines subjektiv-emotionalen Zugangs zur Geschichte betonte, kein Wort darüber, wie die Mitglieder seiner eigenen Familie zum Nationalsozialismus standen. Hat der Journalist, der zahllose Prominente und Durchschnittsbürger zu ihrem Leben im „Dritten Reich“ interviewte, die eigene Familie nie über ihre Erlebnisse befragt? Meint der Fernsehhistoriker, der die Gefühle der „Zeitzeugen“ unterhaltsam und karrierefördernd ausgestellt hat, dass die Erfahrungen der eigenen Familie doch lieber in der Privatsphäre verweilen sollten? Oder – und das ist wohl die am ehesten vom Erzähler intendierte Lesart – soll die Leserschaft annehmen, dass Knopps großzügige Kategorisierung der NS-Gesellschaft als einer Gesellschaft von Mitläufern, in der Schuld auf wenige Menschen beschränkt war, auch auf seine Familie zutrifft? „Schuldig waren ganz gewiss nicht alle Deutschen und wohl auch nicht viele, aber ohne Zweifel allzu viele.“ (S. 110, auch S. 186)

An dieser Stelle wäre man für eine Erläuterung des Schuldbegriffs dankbar gewesen, die über ein implizites „Papa und Opa waren keine Nazis“ hinausgeht. Sind Verhaltensweisen moralisch unbedenklich, nur weil sie der zeitgenössischen Norm entsprechen? Knopp scheint sich da selber nicht ganz sicher zu sein. Während er in obiger Passage die große Mehrheit der Deutschen von Schuld freispricht, schreibt er an anderen Stellen des Buches von „Millionen sogenannter Mitläufer“ (S. 124) und argumentiert, das deutsche Volk sei auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli angewiesen gewesen, um wenigstens einen Teil seiner Ehre zu retten (S. 77, S. 211). Heißt das im Umkehrschluss, dass die Deutschen im Nationalsozialismus ihre Ehre verloren haben, ohne schuldig geworden zu sein?3

Auf solche Fragen hat Knopp immer routinemäßig geantwortet, dass er populäres Fernsehen produziere – und keine philosophischen Abhandlungen. In „Meine Geschichte“ ist das in der ersten Zeile des Buches so formuliert: „Dies ist ein Buch für meine Zuschauer, die mir über all die Jahre treu geblieben sind, kein Fachbuch für Historiker und Feuilletonisten.“ (S. 9) Aber das ist natürlich ein Scheinargument, das von dem Umstand ablenken soll, dass Knopp seine Zuschauer und Leser über Jahrzehnte systematisch unterschätzt hat, auf Kosten historischer und intellektueller Präzision und Komplexität. Das heißt nicht, dass sich die erinnerungspolitische Bedeutung des Knopp’schen Œuvres auf die intellektuellen Mängel seiner Sendungen reduzieren lässt. Gerade weil die wirklichen Zuschauer des ZDF nicht den einfältigen impliziten Zuschauern entsprechen, die er und seine Kollegen in ihren Beiträgen konstruieren, haben die Programme sowohl Zustimmung als auch Diskussionen und Selbstkritik ausgelöst.

Die Familie des Autors tritt in der Erzählwelt von „Meine Geschichte“ dann doch noch auf, und zwar bezeichnenderweise dort, wo es dem Verfasser darum geht, die Leiden Deutscher im Zweiten Weltkrieg zu illustrieren. Knopp erzählt, dass die Familie seines Vaters aus Oberschlesien stammt und er anderthalb Jahrzehnte lang zur wöchentlichen Teilnahme am „Schlesienabend“ genötigt wurde. Über die Erlebnisse der Familie im „Dritten Reich“ findet sich kein Wort, aber eine knappe, einfühlsam umschreibende Erläuterung der Leiden der Großeltern und Tanten im Sommer 1945, die später auf die Treffen angewiesen waren, „um ihre oft traumatischen Erinnerungen zu verarbeiten“ (S. 15, auch S. 193).

Knopps großzügig ungenaue Schulddefinition und seine selektive Mobilisierung familiärer Erinnerungsbestände mögen auch eine Erklärung sein für einen bemerkenswerten Stilbruch im Zentrum von „Meine Geschichte“. In den beiden Kapiteln, die den Themen Holocaust und Vertreibung gewidmet sind, prallen zwei Erzählhaltungen aufeinander. Unter dem Kapiteltitel „Der Holokaust und seine Zeugen“ verbindet Knopp in sachlichem Duktus eine Reihe von beeindruckenden Zitaten aus Interviews mit Überlebenden mit knappen, ebenso beeindruckenden historischen Beschreibungen und Einblicken in die Produktionsgeschichte seiner Serie „Holokaust“ (2000). Die Zitate und Vignetten bleiben bis auf den jeweils einmaligen Gebrauch der Worte „erschütternd“ und „eindringlich“ unkommentiert (S. 188, S. 191). Im selben Kapitel werden drei Gefühlslagen des Autors explizit thematisiert: sein Stolz angesichts der Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beratergremiums der Sendung (S. 181; gefolgt von einer zweiseitigen Verteidigung der Wahl des Buchstaben „k“ in „Holokaust“); seine Dankbarkeit gegenüber den Vorgesetzten, die die Serie trotz des heiklen Themas in der Prime Time beließen (S. 192); und an dritter Stelle ein negatives Gefühl, ausgedrückt in einer merkwürdigen Textpassage, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet: „Jene überlebenden Opfer des Holokaust sind vor unserer Kamera noch einmal durch die Hölle der Erinnerung gegangen. Und nicht allen von uns war es möglich, das deprimierende Thema mit professioneller Distanz zu behandeln. Vor allem die Erzählungen der Augenzeugen bleiben haften. Ich erinnere mich noch, wie froh ich war, mich nach der Endabnahme unserer gesamten Reihe unvermittelt auf ein völlig anderes Terrain begeben zu können […].“ (S. 191) Hiervon abgesehen enthält das Buch keine weiteren persönlichen Erinnerungen an die von Knopp für so wichtig befundene Interview- und Erinnerungsarbeit mit den Überlebenden des NS-Terrors.

Anders der Stil im folgenden Kapitel mit der Überschrift „Wir Nachkriegskinder und die große Flucht“. Lang ist die Liste der Adjektive, mit deren Hilfe der Autor seine Sympathie für das Leiden der Vertriebenen ausdrückt: traumatisch, tapfer, schmerzlich, grimmig, grausam, brutal, unbeschreiblich, traurig, schlimm, verzweifelt, qualvoll, mörderisch, entsetzlich, unsäglich, düster (S. 194–206). Hier fällt es dem Erzähler auch sichtlich leichter, seine Gefühle auf den Punkt zu bringen: „Was mich am meisten mitgenommen hat, sind die Erinnerungen an das Schicksal jener ostpreußischen Kinder, die im Chaos der Flucht ihre Eltern verloren hatten.“ (S. 198, auch S. 201) Selbst nach 40 Jahren audiovisueller Aufklärung zum Zwecke von Versöhnung und Völkerverständigung stehen dem Autor die von ihm als „eigene“ Opfer empfundenen Toten offensichtlich näher als die von NS-Führung und nationalsozialistischer „Volksgemeinschaft“ zu „fremden“ Toten erklärten Juden. War ein Mitläufertum, das so lange und folgenreiche Schatten wirft, wirklich unschuldig?

Im Kapitel über „Hitlers Helfer II“ (1998) formuliert Knopp ein scheinbar robustes zeithistorisches Vermächtnis: „Jeder hätte Helfer Hitlers werden können. Jeder ist gefährdet, wenn ein krimineller Staat die Schranken zwischen Recht und Unrecht niederreißt. Die menschliche Natur allein ist schwach. Nur ein starker Staat mit klaren Normen, die ganz einfach nicht verhandelbar sind, kann verhindern, dass der Mensch des Menschen Wolf wird.“ (S. 94) Demnach sollte Knopp eigentlich großes Interesse an der Aufgabe haben, klare Maßstäbe über historische Schuld und Unschuld aufzustellen, es sei denn, er wäre davon überzeugt, dass der Staat den Löwenanteil an politischer Präventionsarbeit leisten müsse und das öffentlich-rechtliche Fernsehen in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle spielen könne. Auf jeden Fall deckt sich dieses Vermächtnis mit Knopps Faible für Helmut Kohls patriarchalisches Amtsverständnis („Am schönsten war es eigentlich mit Helmut Kohl“, S. 11), obwohl der Kanzler mit klaren politischen Normen ja auch so seine Probleme hatte.

Aus medienhistorischer Perspektive bleiben natürlich viele Fragen offen. Es wäre spannend und wichtig, von dem Ausnahme-Medienprofi Knopp mehr zu erfahren über die Entwicklung des gefühlsbetonten Dokumentargenres, die Arbeit mit den „Zeitzeugen“, die Reaktionen der Zuschauer, die internationalen Produktions- und Kooperationsprozesse und die Art und Weise, wie die Redaktion sich mit Kritik auseinandergesetzt hat (eine Auseinandersetzung, die in „Meine Geschichte“ doch erstaunlich breiten Raum einnimmt). Es bleibt also zu hoffen, dass Knopp im Ruhestand Zeit findet, um noch einen zweiten autobiographischen Text zu verfassen – diesmal für seine „untreuen“, aber trotzdem neugierigen Zuschauer in den Reihen der Feuilletonisten, Historiker und Medienwissenschaftler.

Anmerkungen:
1 Zu Knopps Fernsehsendungen siehe Judith Keilbach, Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008; Wulf Kansteiner, Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion. Hitler und das „Dritte Reich“ in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 626–648; ders., Aufstieg und Abschied der NS-Zeitzeugen in den Geschichtsdokumentationen des ZDF, in: Martin Sabrow / Norbert Frei (Hrsg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, S. 320–353.
2 Die Formulierung „für Golo Mann und Lieschen Müller“ benutzte Knopp z.B. schon 1991: Guido Knopp, Bilder, die Geschichte machten, in: ZDF-Jahrbuch 1991, S. 146–152, hier S. 152. Interessanterweise hatte Knopp zu einem früheren Zeitpunkt eine andere Formulierung gewählt: „Im Idealfall sollten unsere Sendungen für alle Zuschauerschichten interessant sein – für Lieschen Müller also ebenso wie für Dr. Elisabeth Müller.“ Ders., Zeitgeschichte und Geschichtsbewußtsein, in: ZDF-Jahrbuch 1986, S. 70–74, hier S. 72.
3 Zum komplexen Problem der NS-Mitläufer siehe in Kürze Christina Morina / Krijn Thijs (Hrsg.), Probing the Limits of Categorization. The Bystander in Holocaust History, New York 2018.